Laudatio - Manfred Porkert

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Laudatio

Biographie
ZUM 50. GEBURTSTAG VON PROFESSOR PORKERT
Laudatio gehalten anlässlich einer Feier am 19. 11. 1983 in München
von Dr. med. Carl-Hermann Hempen

Dr. med Carl-Hermann Hempen (links) mit Prof. Dr. Manfred Porkert

Lieber Herr Professor Porkert!

Bevor ich Ihnen Dank sage, nicht nur für diesen Abend, sondern für die vielen interessanten Jahre, gestatten Sie mir, dass ich einige Sätze über Sie sage, so wie ich Sie kennengelernt und schätzen gelernt habe. Zum Verstehen Ihrer Person werde ich einige biographische Äußerungen von Ihnen nutzen, die sie in unseren reichen, ausgiebigen Gesprächen manchmal fallenließen. Für dies alles ist der 50. Geburtstag, so glaube ich, ein guter Anlass.

Ja, 1933 wurden Sie in die schwierigsten Jahre deutscher Geschichte hineingeboren; auch für Sie sollte dieses nicht ohne Folgen bleiben.
Als Einzelkind wurden an den jungen Manfred immer hohe Anforderungen gestellt – er musste sich bewähren, durchsetzen, Erfahrungen sammeln, ohne die seine spätere Entwicklung nicht möglich gewesen wäre. Damals bekam er auch den ersten Zugang zur Medizin. Der Vater baute nämlich elektromedizinische Apparate. Und so lernte er frühe neue Einflüsse auf die Medizin kennen: Elektrizität, magnetische Induktionsfelder — diese Bilder, diese Begriffe prägten ihn und waren bei der Ausformulierung späterer Erkenntnisse parat – denken wir an die induktive Synthese, diesen zentralen komplementären Begriff.

Damals aber auch erfuhr er am eigenen Leibe die Bedeutung der körperlichen Oberfläche, das, was er als chinesisch-lateinisches Fachwort später „species“ nannte. Denn kaum hustete oder fieberte der Sohn Manfred einmal, wurde er in das neu entwickelte elektrische Schwitzbad gesteckt. Noch heute argwöhnt er, dass damals durch diese Rosskuren seine Oberfläche lädiert wurde.

In den Kriegswirren stülpte man dem Buben eine Binde über den Arm mit einem großem M darauf, welches jedoch nicht für 'Manfred', sondern für  'Melder' stand.  Während die Alliierten nächtlings ihre Bombenlasten über Dresden abluden war nicht nur das Getöse, sondern auch der Feuerschein noch in der 60 km entfernten Heimatstadt Manfreds zu hören — wobei auch dort der Luftschutz den größeren Teil der Nacht aufgeboten war, um für unwägbare Ereignisse bereit zu sein.

Als die tschechische Besatzung kam, wusste er mit Mut und Schläue seine Befreiung aus dem konfiszierten elterlichen Haus zu organisieren. Fast wäre der 12-Jährige vergessen worden. Auch als die Vertreibung der Deutschen anstand, zeigte sich sein praktischer Sinn. In seinem Gepäck, auf Überleben in freier Natur berechnet, fanden sich Küchenutensilien und Töpfe, mit denen nicht nur die eigene Familie sondern auch andere im Flüchtlingstreck, die während der Sommerzeit zu gewinnenden Feldfrüchte gekocht und essbar machen konnten. Er hatte an alles gedacht, andere hatten in kopfloser Hektik den schlichten Hausrat vergessen.

Er kam mit der Familie nach Bamberg. Aus dem Kind war ein Jugendlicher geworden, der Außergewöhnliches erahnen ließ. Mit Einsatzfreude und Begabung stürzte er sich in das Abenteuer der Sprachen. Er suchte sich unverzüglich potente Lehrer –  in der Regel Menschen mit der jeweiligen Muttersprache: Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch zunächst, aber auch Latein nur zum Vergnügen. Nahezu jeden Abend besuchte er Vorträge oder Konzertveranstaltungen, wie sie in einer kulturbewussten Mittelstadt vor und bis wenige Jahre nach der Währungsreform einem kaum durch den Erwerb von Konsumgütern abgelenkten Publikum geboten wurden. Die Umrisse philosophischer und geisteswissenschaftlicher Tradition zeichneten sich vor seinen neugierigen Blicken ab. Es wirkt demgegenüber wie ein Kontrast, wenn er noch bis kurz vor dem Abitur Photograph werden wollte – aber solches zeigt eben die andere, seine kunstliebende, gestalterische, formgebende Seite. Wunderschöne Bilder hat er später gemacht, technisch perfekt, künstlerisch ausdrucksvoll und harmonisch.

Student war er zunächst in München, wo er die völlige Freiheit selbstbestimmter Lebensgestaltung auskostete in einer Orgie von Sprachstudien und Sprachunterricht: Arabisch, Chinesisch, Japanisch, russische Literatur, Italienisch, Spanisch an der Uni – und die höheren Weihen geschliffener Übersetzungs-  und Dolmetschtechnik am damals noch jungen Sprachen- und Dolmetscher-Institut. Staatsprüfung als technischer Übersetzer für Französisch und dann auch bald der Übergang nach Paris an die Sorbonne. Auch hier wieder das alte Prinzip, das Beste aus erster Hand: Sinologie an der damals wie heute führenden Forschungsstätte, eintauchend in die Tradition eines Granet, Pelliot, Maspero, die fortentwickelt wurde durch Gelehrte wie Kaltenmark, Demiéville, Gernet; er hörte aber auch bei dem berühmten Schüler Otto Frankes Etienne Balasz und veröffentlichte seine erste größere sinologische Arbeit in Französisch in einem Sammelband des Philosophen und späteren Lehrers Merleau-Ponty. In Paris erfuhr er aber auch die Förderung alter, kenntnisreicher Chinesen, die nach dem Aufbruch der Jahrhundertwende in die Weltstadt gekommen waren, in der oft enttäuschten Illusion, hier das Vermächtnis ihrer alten Kultur weiterzugeben. Auch eine Freundschaft und übersetzerische Zusammenarbeit mit dem damals in Paris lebenden Religionshistoriker Mircea Eliade und die intensive Beschäftigung mit dem Werk C. G. Jungs gehören zu den markanten Eindrücken der Pariser Jahre. Es bereitete ihm Spaß, im Jardin du Luxembourg zu sitzen und, wo andere Journale lasen, lieber einen chinesischen Roman  herauszunehmen. Die Sprachen, die Philosophie – bei diesem Kenntnisstand begann er eine gehobene Position einzunehmen. Er begann alles umfassender, runder, einheitlicher zu sehen, er trachtete schon in diesen Jahren Westliches und Östliches Denken zu verbinden, zu verknüpfen, vielleicht auch zu einen.

Vor diesem Hintergrund näherte er sich erneut der Medizin. Stockend, anfangs ungläubig las er erste medizinische Texte im Chinesischen. Die eigenartige Sprache, die Bilder, die Nichtbeachtung westlicher Anatomie und Physiologie irritierten ihn –  war es nur ein archaisches Bild, eine philologische Schnörkelei oder war es lebendige Medizin zum Gebrauch?

Im Anschluss an seine sinologische Pariser Promotion studierte er in Würzburg westliche Medizin — bis St. Bürokratius dieses Unternehmen beendete. Jetzt war der Weg frei für die chinesische Medizin. Auf nach Ostasien! Zunächst in einem langwierigen Marsch durch die klassischen Texte, mit denen viele kokettiert, die aber keiner verständlich übertragen hatte. Er erkannte , dass dem heutigen Verständnis jener Überlieferung nicht nur terminologische Unstimmigkeiten entgegenstanden sondern, noch gravierender, erkenntnistheoretische. Mühsame Umwege, manchem Beobachter zunächst als Abwege erscheinend, mussten begangen werden. Ein volles Jahrzehnt währte dieses wissenschaftliche Puppenstadium, ehe er mit der Vorlage einer von Philologen und Medizinern  gleichermaßen beurteilten Habilitationsschrift in München seinen „Freispruch“ zu akademischer Tauglichkeit erhielt.

Nun folgten – seit den 70er Jahren –  regelmäßige Forschungsaufenthalte, mitunter halbe Jahre lang, immer wieder in Ostasien. Dabei galt wieder die alte Regel: nur das Beste aus erster Hand. Kritisch besuchte er ein halbes Hundert Ärzte, erkundete in chinesischen Fachgesprächen ihre Kenntnisse, schaute bei ihrer Arbeit zu und beurteilte ihr Können, z.B. in der Pulsdiagnose. Er fand seinen Lehrer in der Person des Xia Boyan, eines Altarztes 4. Generation in einer Provinzstadt südlich von Taipeh. Monatelang arbeitete er täglich mit ihm, am Vormittag und späteren Nachmittag in der ärztlichen Praxis, am Abend und oft bis gegen Mitternacht in seiner Wohnung oder auf der Straße vor dieser zur Einübung des Faustkampfs. Spätestens damals wusste er, dass die alten Texte keine Märchen waren: es funktionierte, es stimmte, es klappte: die Pulsdiagnose, die Zungendiagnose, die ganze Medizintheorie und natürlich die Arzneimitteltherapie.

Inzwischen wurde seine Habilitationsschrift „Die theoretischen Grundlagen der chinesischen Medizin“ das beste Buch, das es zur chinesischen Medizin gibt. Die Amerikaner hatten dies sofort erkannt und rissen ihm das Werk förmlich aus der Hand. Das war 1969. Inzwischen ist es drüben ein Bestseller. Eine große Schaffenszeit begann. In deutscher Sprache entstanden Bücher wie es sie bisher in keiner westlichen Sprache zu diesem Thema gab.

Und hier beginnen jetzt schon meine persönlichen Eindrücke und Beziehungen. Vor fast 10 Jahren hatte ich gerade die „Theoretischen Grundlagen“ nein, um es kompliziert  zu machen, die amerikanische Ausgabe, „The Theoretical Foundations of Chinese Medicine“  gelesen (denn alles Neue muss ja wohl heute aus Amerika kommen), als ich den Mann, der dieses geschrieben hatte, unbedingt finden wollte. Vielleicht war es kein Zufall aber dennoch eine große Überraschung für mich, dass ich ihn plötzlich im Vorlesungsverzeichnis der Münchner Universität fand. Das weiß ich noch wie heute, dass ich damals zur Vorlesungsbesprechung in den großen Hörsaal der Frauenklinik lief – ich fürchtete schon, wegen des erahnten großen Andranges keinen gescheiten Platz zu bekommen – aber die Ahnung trog. Wir waren nämlich ganze 2 Hörer, und die Frage nach diesem Phänomen hat mich anschließend noch lange beschäftigt. Dass die Medizinstudenten und jungen Ärzte so ausgelastet sind, kann sicher nur ein Teil der Erklärung hierfür sein.

Später standen wir auf der Straße und erzählten uns einiges, er mit traurigem doch selbstbewussten Blick über das Vorlesungsvorhaben, ich erzählte ihm, dass ich seine Arbeiten teilweise studiert hätte – lichtete seinen Blick unter der dunklen Baskenmütze leicht auf.

Die Jahre gingen dahin. Ich habe viele kommen und gehen sehen, manchmal ganze Assistentenschaften irgendeiner Klinik; geblieben sind nur wenige. Nun gut, er hat es niemandem leicht gemacht, hat sich nicht niedergebeugt und keine mundgerechten Häppchen gemacht. Er hat nur ein wenig Einsatz verlangt, Willen, Bereitschaft, „wer viel mitbringt, wird viel mehr bekommen“, sagte er gerne, oder auch: „Jeder Beruf nährt seine Meister“ –   wir haben es erfahren, es stimmt. Vielleicht mochten die anderen nichts mitbringen. Nie hat er einem nachgeweint.

Dafür hatte ich in einer Zeit, wo meine Studentenzeit längst vorbei war, über Jahre den besten Lehrer. Im kleinen Kreis hatten wir die Vorlesungen. Texte wurden gelesen, von ihm beliebig aus den chinesischen Urtexten ins Lateinische, Englische, Französische oder Deutsche übersetzt; philosophische Kommentare wurden zwanglos und vervollkommnend eingebunden – es waren manchmal Glanzlichter philologischen Könnens – nur wusste es fast niemand. Dann gingen wir rüber, von der Trautenwolfstraße ins Leopold, bestellten ein Weißbier und manchmal einen Obatzten, und tauchten in weite, fließende Gespräche. Da wurde diskutiert und gekämpft, da wurde schwadroniert und geschwelgt, da wurden Pläne gefasst, Phantasien entwickelt, Konkretes geplant und Luftiges geträumt – wer hat schon so einen Lehrer gehabt? Und auch die stundenlangen Treffen in der Dall'Armistraße, die Gespräche über Philosophie, Sprache, Wissenschaft und vor allem Medizin, immer und immer wieder „chinesische Medizin“ Die Zeit floss, es wurde gearbeitet, er schaffte oft für viele – besonders wenn er auf seinem Berg in Kärnten saß. Bücher, Kurse, Fortbildungen, praktische Anwendung, klinische Ambulanz.

Die Wege sind abgesteckt, wir sind auf der Wanderung, und Professor Porkert hat die Wegweiser aufgestellt und geht auch noch voran. Auf der Basis seiner immensen Sprachkenntnisse, seiner philosophischen Bildung und seiner medizinischen Erfahrungen hat er den Raum der „chinesischen Medizin“ für die gesamte westliche Welt neu erschlossen.

Vielleicht ist der Vergleich mit einem Schliemann erlaubt, dessen geniale sprachliche Fähigkeiten ihm halfen, das versunkene Troja zu heben. So ist es nur mit der außergewöhnlichen sprachlichen Erhabenheit von Ihnen möglich, die umgeworfenen und missachteten Figuren der chinesischen Medizintheorie neu aufzustellen und neu zu  ordnen. Begriffliche Präzision, eine ungewöhnliche Formulierkunst sowie der philosophische Überblick sind nötig, um solche Schätze zu heben. Zu diesem, zu dem sprachlichen Genius muss sich die Schärfe wissenschaftlichen Denkens gesellen, die Unbestechlichkeit, Sauberkeit und Ehrlichkeit klarer Formulierungen, um solche Werke zu schaffen. Und dieses alles reicht noch nicht. Ihr medizinisches Fühlen, Ihre Intuitionen waren oft nötig, um Sinnzusammenhänge zu erfassen. Ihrer Eigenständigkeit, Ihrer Durchsetzungskraft hat es bedurft. Das Ertragen von Widrigkeiten, von Anfeindungen, das beherzte Durchstehen eines schweren Kampfes, oft nur gestützt auf wenige Überzeugte – das alles ist nötig zur Vollendung Ihrer Arbeit. Fleiß, Ausdauer, Kraft und Mut und auch Entbehrungen, gleichzeitig Fairness und Toleranz — all dieses haben wir als Ihre Stärken erlebt. Bei diesem Anspruch, den Sie an sich selbst stellen, wundert es jetzt nicht mehr, wenn es vielen Zuhörern und Zuschauern zu mühsam und beschwerlich wird. Bei so viel Anspruch und so viel Inhalt kann es keine Massenveranstaltung mehr geben. Bei alledem vergeht Ihnen die Laune nicht. Sie bleiben fair und freundlich, bescheiden, ehrlich und ein immer guter Lehrer.

Das ist es, warum wir Sie nicht nur bewundern, verehren, sondern auch sehr gern haben. Das ist es, warum wir heute nicht nur eine Laudatio halten, sondern Ihnen Dank sagen aus tiefstem Herzen!
 
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Diese Website dient dem Gedenken und Erinnern an Prof. Dr. Manfred Porkert und sein Lebenswerk im Bereich der Sinologie, der chinesischen Medizin und Wissenschaftsmethodologie. Gleichzeitig geht sie seinem Grundanliegen nach, all sein Wissen der jüngeren Generation zum Lernen und wissenschaftlichen Streiten im Sinne einer gesünderen und humaneren Welt weiterzugeben.
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Helga Hartung-Porkert
9632 Kirchbach
AUSTRIA  

E-Mail:manxibo@manfred-porkert.com
MANFRED PORKERT
Prof. für Sinologie einschließlich der theoretischen Grundlagen der chinesischen Medizin
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